Branchenübergreifende Trends im Prozessmanagement (Teil 1)

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Prozessmanagement kann mehr als die Prozessdokumentation oder ISO 9001 und weitere Zertifizierungen unterstützen. Ohne Dokumentation ist alles Weitere nichts – aber nicht alles ist Prozessdokumentation! So hat sich bei vielen Unternehmen immerhin ein eher operatives Prozessmanagement durchgesetzt, bei dem die Prozessdurchführung und -steuerung im Vordergrund steht. Was sind weitere Potenziale, die sich Unternehmen mit Prozessorientierung erschließen können?

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Autor: Dr. Kai Krings

„Mit dem Zweiten sehen Sie besser“ passt als bekannter Werbeslogan auch sehr gut auf das Prozessmanagement. Gemeint ist die strategische Steuerungsperspektive, die das operative Prozessmanagement auf die Erreichung strategischer Unternehmensziele ausrichtet. In der aus vielen Projekten heraus entwickelten „Prozessmanagement-Brille“ der BPM&O ist es das linke „Brillenglas“, das über den Top-down und Bottom-up Mechanismus mit dem rechten operativen Brillenglas verbunden ist. Zusammen haben sie einen stabilen gemeinsamen Rahmen in Form der BPM Governance (Managementprozess, Rollen, Standards/Werkzeuge).

Bild: Strategisches und operatives Prozessmanagement integriert in der „Prozessmanagement-Brille“ – Wie können Prozesse durchgängig gesteuert werden?

Welche Potenziale erschließen sich Management- und Organisations-Verantwortliche aber tatsächlich über eine Verstärkung der Prozessorientierung mit dem Ausrichten von Steuerung, Maßnahmen und Entscheidungen an Prozessen? Impuls hierzu erhalten Sie beispielsweise in dem Zertfikatsprogramm „Strategischer Prozessmanager“ der BPM&O Akademie.

In unseren Anfragen, konkreten Auftragsklärungen und Projekten lassen sich fünf unterschiedliche Perspektiven aufzeigen, die jeweils einen erheblichen Einfluss auf das Vorgehen und die jeweils benötigten BPM Tools haben. Eine Übersicht über verfügbare Tools finden Sie in den BPM Toolmarktmonitoren der BPM&O.

Perspektive 1: Prozessorientierte integrierte Managementsysteme – Governance Risk & Compliance (GRC)

Bei einem dokumentationsbasierten Ansatz liegt es nahe, über die erheblichen Aufwände der Pflege/Weiterentwicklung und den jeweiligen Implementierungs- und Einweisungsaufwand nachzudenken. Noch dazu, da die externe Regulierung in allen Branchen zunimmt und Zertifizierungen als eigenes Geschäftsmodell erfahrungsgemäß nicht weniger werden. Bei einer prozessorientierten Umsetzung wird der aus der Durchführungsperspektive dokumentierte Prozess um die unterschiedlichen Anforderungen angereichert. Spezifische, mitgeltende Dokumente werden mit dem Prozess technisch verknüpft oder integriert.

Ebenso wird das Rollenkonzept und die Aufbauorganisation anforderungskonform weiterentwickelt, d.h. vorhandene Rollen werden in ihren Aufgaben und Verantwortlichkeiten angepasst bzw. neue erforderliche Rollen ergänzt. So können Organisations-Verantwortliche Risiken von Inkonsistenzen zwischen den internen Regelwerken deutlich verringern und bereits erhebliche Ressourcen für die Erstellung und Pflege – vor allem aber auch auf der Nutzerseite für Finden, Lesen und Verstehen – einsparen. Weitergehende Potenziale lassen sich über die technische Unterstützung der Prozessfreigaben, der periodischen Aktualisierungsprüfungen, der Kenntnisnahme durch prozessbeteiligte Rollen und der Risikobeurteilungen erschließen. Dazu werden toolseitig integrierte Workflow-Engines oder vorkonfigurierte Governance Workflows benötigt, ebenso wie konfigurierbare Metadaten/Attribute und Schnittstellen zu Rollen-/Berechtigungsdiensten des Unternehmens.

Wenn bereits viele Prozesse automatisiert sind, können Process Mining Komponenten eingesetzt werden, um die digitalen Fußspuren über mehrere Systeme hinweg zu analysieren. Diese Technologie unterstützt damit tiefgehende Compliance Checks auf der Basis realer Fakten, ebenso wie die Eingrenzung von erwünschten Prozessvarianten für die weitere Harmonisierung und Optimierung der Prozesse. Heute stellt die Verfügbarkeit der Daten über hinreichend lange Prozessabschnitte oft noch einen Engpass dar. Der Aufwand für Datenextraktion, Transformation/Zusammenführung und Bereitstellung (meist über sogenannte ETL Komponenten unterstützt) und die Softwarekosten stehen bei einfachen, kurzen Prozessen in keinem Verhältnis zum Nutzen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum viele Process Mining Initiativen im Proof of Concept Stadium verharren.

Perspektive 2: Kontinuierliche Verbesserung und Operational Excellence (OPEX) bzw. Service Excellence

Sobald die Dokumentation nicht mehr primär wegen der formalen Notwendigkeit, sondern wegen der Nützlichkeit für eine kundenorientierte und fehlerfreie Prozessdurchführung weiterentwickelt wird, steht einer kontinuierlichen Verbesserung nur noch die gewählte Vorgehensweise oder die verwendeten Werkzeuge im Wege. Zu letzterem bietet der meist verwendete Werkzeugkasten des Lean Managements mehr Methoden und Tools, als typischerweise genutzt werden können – wegen der „Produktionsherkunft“ ist die richtige Auswahl, ggf. Adaption und Einführung/Schulung im Einsatzbereich erfolgsentscheidend.

Damit einher geht meist auch die Einführung eines erweiterten Rollenkonzeptes, in denen operative Prozessverantwortliche quer zur Linie sowie eine systemgestützte Messung der Prozesse etabliert werden. Zusätzlich werden organisatorische Rahmenbedingungen und Formate aufgebaut, die eine breitere Beteiligung der durchführenden Rollen über einzelne benannte Key-User hinaus gewährleisten. Toolseitig werden dann unbedingt eine einfache und intuitive Bedienung, eine einfache Modellierung sowie Kollaborationsfunktionen für die einfache und transparente Weiterentwicklung und Verbesserung der Prozesse benötigt. Die Messdaten zu den Prozessen kommen meist aus anderen IT-Systemen und sind in der Regel nur dann integraler BPM Toolbestandteil, wenn zu dem Tool auch eine Workflow-Engine verfügbar ist.

Einige Dokumentationstools bieten auch den Aufbau von Dashboards und deren Darstellung in statischen Prozessinhalten wie Landkarten oder Prozessdiagrammen an. Ob das sinnvoll ist, hängt von den Strategien zur Nutzung von Business Intelligence Werkzeugen und den Nutzeranforderungen ab.

Was meinen Sie zu diesen ersten beiden Perspektiven? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Im Folgebeitrag finden Sie drei weitere Perspektiven: